Es lag einmal ein dicker rötlicher Felsen im östlichen Teil von Deutschland am Wegesrand herum. Tag ein Tag aus beobachtete er die Welt, viele hundert-tausende Jahre lang. Irgendwann in den 1990er Jahren keimte in ihm der unerklärliche Wunsch auf, sich zu verändern. Er hatte von der Grenzöffnung zwischen den beiden Deutschlandhälften gehört und dachte sich eines Tages so: „Nun hat mich vor Urzeiten irgendein blöder unbekannter Gletscher hier her geschoben, ist dann geschmolzen und hat mich dann einfach liegen gelassen. Wie kann ich es nur schaffen, auch mal die andere Seite dieses Landes zu sehen?“
An einem schönen, sonnigen Tag im Juli stand am frühen Morgen plötzlich ein Trabi mit Anhänger vor dem Felsen. Eine Frau und ein Mann stiegen aus und hebelten ihn mit Balken und Eisenstangen auf den Anhänger. „Na, jetzt bin ich aber gespannt“, dachte sich der Felsen und schon ging die holperige Reise Richtung Westen los. In so mancher Kurve hatte er das Gefühl, jeden Augenblick vom Hänger zu fallen. Irgendwann wurde die Fahrt langsamer, der Trabi fuhr auf einen großen Parkplatz, ein großes grünes Eisentor wurde geöffnet und dann waren es noch etwa 200 Meter, bis der Trabi mit seiner schweren Last vor einem Gartentor hielt. Nun machten sich die Frau und der Mann an die Arbeit und wuchteten den gespannten und neugierigen Felsen mit viel Mühe vom Hänger, richteten ihn vor dem Gartentor auf, dekorierten ihn mit bunten Bändern und fuhren wieder weg. „Hm“, meinte der Felsen, „was soll das denn? Jetzt haben sie mich hier hingestellt und verschwinden einfach. Und dann genau vor die Gartenpforte? Da kommt doch weder einer rein noch raus?“ Den ganzen Vormittag bis über die Mittagszeit weg stand der entführte Felsen in sengender Sonne vor der Gartentür und wusste nichts mit sich anzufangen.
Am frühen Nachmittag kam Norbi mit dem Fahrrad um die Ecke und wunderte sich, wer denn da einen vollen Sack mit Kartoffeln vor die Gartenpforte gestellt hatte. Als er näher kam, erkannte er seinen Irrtum, freute sich über den schönen roten Felsen und murmelte: „Das ist ja mal eine Geburtstagsüberraschung! So etwas Verrücktes können doch nur die Zwei aus Badersleben machen!“
Damit später die Geburtstagsgäste den Garten betreten konnten, musste das Monstrum von der Pforte weg. Mit einer Sackkarre und schweißtreibenden Anstrengungen bekam der Geburtstagsfelsen einen schönen Platz neben dem Grill. Dort steht er noch heute und dient ab und zu als Ablage für diverses Grillgut.
Und ich glaube, dass es ihm nach 40 Jahren noch immer dort gefällt.